Miguel & The Hot Banditos

unsere wahre Bandgeschichte aus einer anderen Welt

Es war an einem dieser heißen Tage, irgendwo nördlich der mexikanischen Grenze. Tage, an denen man lieber zu Hause bleibt, weil einen die Hitze draußen so überfallartig und brutal niederstreckt, wie es selbst die hinterhältigsten Gauner aus dem Nachbardorf nicht könnten. Tage, an denen man sich nach nichts mehr sehnt, als nach einer kleinen Brise Wind, die den permanenten Schweiß auf der Stirn etwas erträglicher macht. Es war sogar einer dieser Tage, an denen sich mit Sicherheit auch Kakteen um ihre Existenz ernsthafte Gedanken machen würden, wenn sie ein Gehirn besäßen.

Miguel dagegen störte all dies wenig. Sicherlich machte auch er sich Gedanken um seine zukünftige Existenz, doch diese waren anderer Natur. Sorgfältig befestigte er die Leine seines Pferdes am Geländer des Saloons und lehnte sich anschließend seinerseits gegen die hölzerne Konstruktion, welche mit einem lauten Knarren bedrohlich nachgab, aber auch das brachte ihn nicht aus der Ruhe. Gelassen beobachtete er, wie seine schwarze Stute die letzten Tropfen Wasser aus einem Bottich leckte und ihn dabei immer wieder mit leuchtenden Augen ansah. Das neue Pferd war Miguels ganzer Stolz. Er hatte es von einem alten Händler in Arizona erstanden und mit all seiner Liebe zu einem, trotz des hohen Alters, prächtigen Tier gemacht. Überall wo er auftauchte, beneideten ihn die Leute um sein schönes Pferd. Miguel genoss dieses Gefühl. Auf dem Rücken seines treuen Wegbegleiters zu sitzen, bedeutete für ihn ein großes Stück Freiheit in diesem weiten Land.

Während ihn diese Gedanken eine Weile beschäftigten, sah sich Miguel etwas um. Keine Menschenseele war um diese Zeit in der einzigen Straße des Dorfes unterwegs, die an beiden Enden einen weiten Blick in die flimmernde Prärie bot. Miguel griff in seine Tasche und zog eine Zigarette heraus, die er noch genüsslich rauchen würde, bevor er den Saloon betritt.

Im Inneren des Gebäudes tobte bereits das Leben. Unter einer riesigen Dunstglocke von Zigaretten und Zigarrenrauch, vermischt mit den verschiedensten Frauenparfums tummelten sich mindestens einhundert Menschen. Die unzähligen kleinen, runden Tische waren restlos besetzt, und der Klavierspieler in der hinteren Ecke hatte sichtlich Mühe gegen das ständige Klirren von Gläsern und das laute Lachen der vielen, offensichtlich schon stark betrunkenen Gäste anzukommen. Auch hinter der Theke herrschte Hochbetrieb. Jim, der Barkeeper, hatte jedoch alles fest im Griff. Sein ganzes Leben hatte er nichts anderes gemacht, als wilden Cowboys ein Bier nach dem anderen zu servieren. Er wusste genau, wem man ohne Bedenken noch einen Whisky mehr einschenken konnte, und wen man besser nach Hause schickte.

<Noch  zwei Bier, Jim!> <Geht klar Shabbi!>

Shahab Baghdasarian, ein ehemaliger Teppichhändler aus Persien war ein alter Freund von Jim. Er saß an einem, der vorderen Tische, zusammen mit zwei weiteren Männern.

<Und Du bist ganz sicher, dass er kommt, Chrissi?>, fragte Shahab einen der beiden. Christopher, ein Schulfreund von ihm, nickte mit dem Kopf, während er gleichzeitig mit seinen Fingern auf dem Tisch herumtrommelte. Es war eine Angewohnheit, die ihm eigentlich keiner so recht übel nehmen konnte, denn er war Schlagzeuger. Zusammen mit Shahab, hatte er die Idee, eine Band zu gründen, nachdem ihn dieser in der Schule auf seine ständige Trommelei angesprochen hatte. Gerhard, der dritte am Tisch, war ein Bekannter von Christopher und stellte sich als Keyboarder der Band zur Verfügung. Doch die drei jungen Musiker waren noch nicht komplett. An ihrem Tisch befand sich noch ein leerer Stuhl, es war der Stuhl von Miguel.

<Also, wenn er jetzt nicht gleich kommt, dann trink ich...> Shahab stockte, denn er merkte plötzlich, dass er der einzige im ganzen Lokal war, der in diesem Moment redete. Der Mann am Klavier hatte aufgehört zu spielen, kein Klirren von Gläsern war mehr zu hören und sämtliche Gespräche waren aus irgend einem Grund plötzlich verstummt. Jim, der offensichtlich deswegen zwanzig statt zwei Zentiliter Whisky in ein Glas gegossen hatte, stand ebenfalls mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund hinter der Theke. Es herrschte eine beängstigende Stille. Keiner im Saloon bewegte sich, nur das rhythmische Quietschen einer Federkernmatraze im ersten Stock wies nun verräterisch auf eine noch stattfindende Aktivität hin.

In der Eingangstür stand die etwa 1,90 m große Silhouette eines unbekannten Mannes, den die zweihundert Augen im Saloon gebannt anstarrten. Durch das grelle Sonnenlicht, welches nach wie vor die Straße in einen Backofen verwandelte, waren nur die Umrisse des Mannes zu erkennen. Shahab wurde etwas nervös, denn er bemerkte, dass der Unbekannte langsam aber offensichtlich sehr zielstrebig auf ihn zu steuerte. Jetzt, da sich der Mann in der Mitte des Saloons befand, konnte Shahab sehen, dass er lange blonde Haare hatte, die zu einem Zopf zusammengebunden waren. Seine Hände steckten lässig in den Hosentaschen seiner Jeans und seine Augen verbargen sich hinter einer blauen Sonnenbrille, die so blau war, dass es Shahab eiskalt den Rücken hinunterlief.

<Das kann’s ja wohl nid wahr sein! Was’n Typ!>, murmelte Shahab in seinen Dreitagebart. In diesem Moment stand der Unbekannte direkt vor ihm. Wie in Zeitlupe bewegte sich seine linke Hand aus der Hosentasche und wanderte vertikal Richtung linker Brillenrand während sich seine Rechte auf horizontaler Ebene dem einen Kopf kleineren Perser näherte. Shahab zitterte, aber er hatte keine andere Wahl und streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen.

<Hi, ich bin Miguel!>, sagte der Unbekannte mit einer Stimme, die noch cooler war, als seine blaue Sonnenbrille und setzte sich auf den noch freien Stuhl.

Der Abend wollte kaum enden. Nachdem der Geräuschpegel im Saloon wieder ein normales, unerträgliches Niveau erreicht hatte, tranken die vier Musiker noch einige Runden Bier, bevor sie nach draußen gingen und ihre dort wartenden Pferde für den Heimritt klarmachten. Eigentlich hätte bei diesem Alkoholpegel keiner mehr reiten dürfen, da aber der Dorfsheriff selbst kaum noch stehen konnte und sich offensichtlich an der Bar festgekettet hatte, gab es keinen Grund zur Beunruhigung. Miguel, dessen großer Auftritt noch immer große Bewunderung nach sich zog, ritt nach Down-Valluf, einem kleinen Nest am Ufer des Ryan-River, welches die Goldgräberei zu einem florierenden Handelszentrum gemacht hatte. Immer mehr vom Gold träumende Menschen hatten sich dort im Laufe der Zeit angesiedelt und zahlreiche Hütten und Scheunen errichtet...

Die Nacht war schwül und unerträglich. Man musste sich ernsthaft fragen, zu welchem Zweck die Sonne eigentlich untergegangen war. Shahab wälzte sich ununterbrochen von der einen Seite seines Bettes auf die andere und tat kein Auge zu. Die stehende Luft sowie der ständig summende Restbestand an Moskitos in seiner Hütte machten ihn wahnsinnig. Zudem beschäftigte ihn pausenlos der Gedanke an den morgigen Tag, der Tag, an dem er das erste Mal mit den anderen Jungs proben würde. Shahab beschloss, die unsinnigen Versuche doch noch einzuschlafen einzustellen und setzte sich mit einem Glas Soda nach draußen. Unzählige Minuten verbrachte er damit, in den klaren Sternenhimmel zu schauen. Der fast komplette Vollmond tauchte die Prärie in ein bläuliches, düsteres Licht, welches die Riesenkakteen noch erfurchtsvoller und monströser erschienen lies. Es waren unzählige. Shahab versuchte sie zu zählen, doch er hatte den Eindruck als würden es immer mehr. Wie Menschen standen sie plötzlich da und streckten ihm ihre stacheligen Arme entgegen. Auch das monotone Zirpen einer Millionenschar von Grillen, welches er vorher nur im Unterbewusstsein wahrgenommen hatte, wurde immer lauter und intensiver. Es war plötzlich wie das Geschrei tausender Menschen, die ihm zujubelten. Shahab stand auf und wurde Zeuge eines seltsamen Schauspiels. Die Kakteen, die eben noch wie angewurzelt da standen, bewegten sich auf ihn zu. Einige schienen sogar zu rennen, andere schubsten sich mit ihren stacheligen Armen gegenseitig zu Boden. Binnen weniger Sekunden versammelte sich eine Herde wildgewordener, stacheliger Kakteen direkt vor seinen Augen. Shahab zuckte zusammen als er bemerkte, dass das ohrenbetäubende Geschrei aus den Mündern der Kakteen stammte und sich allmählich zu einem riesigen Sprechchor formte: „Shahab!! Shahab!! Shahab!!“ Von allen Seiten strömten sie herbei und bildeten einen immer dichteren grünen Halbkreis direkt vor Shahab’s Hütte. Dieser schwitzte aus allen verfügbaren Poren als er plötzlich bemerkte, dass sich eine Gitarre in seinen Händen befand. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ein letztes Mal atmete Shahab tief durch.....“ROCK’N ROOOOLL!!!!!!!! , brüllte er seinen stacheligen Fans entgegen und haute in die Saiten. Noch nie hatte er einen so fetten Sound gehabt. Unter seinen Füssen bebte die Prärie und das Geschrei der Kakteen wurde immer lauter. Shahab rockte und rockte, seine Finger schienen auf dem Griffbrett seiner Gitarre Achterbahn zu fahren, was immer wieder wahre Begeisterungsstürme auslöste. Völlig in Trance beschäftigte ihn nur noch ein einziger Gedanke: Das Bad in der Menge. Shahab kletterte auf die große Fahnenstange, die er einmal neben seiner Hütte installiert hatte. Von hier oben würde er den Sprung in die schreiende Menge wagen. Begleitet von einem ohrenbetäubendem Jubel drückte sich Shahab von der Stange ab. Zu spät..., in Bruchteil einer Sekunde realisierte er, dass er dabei war, sich in eine Herde stacheliger Kakteen zu werfen...AAAAAAAHHHHHHH!!!!!!!

Shahab, alles klar?“, fragte Miguel, der gekommen war, um nach dem Rechten zu sehen. „Hast wohl schlecht geträumt, was? Komm, die andern warten schon im Proberaum!“ Shahab wischte sich zwei- dreimal über die Augen. Er saß nach wie vor vor seiner Hütte, die Sonne brannte und die Riesenkakteen schienen sich keinen Millimeter bewegt zu haben.

Shahab erhob sich etwas beschwerlich von seinem Stuhl. Auch das Glas Soda stand noch unberührt neben ihm auf dem Boden. Einer kleineren Moskito war die Flüssigkeit wohl über Nacht zur tödlichen Falle geworden. Shahab entfernte sie vorsichtig mit dem kleinen Finger, nahm einen kräftigen Schluck und ging zurück in die Hütte, um seine Gitarre zu holen. Miguel, der sich immer ein wenig ducken musste, wenn er die Tür zu Shahab’s Heim passierte, folgte ihm. „Wir reiten zu Dr. Robert“, qualmte es aus Miguel’s Mund, an dessen Unterlippe noch die Überreste einer Marlboro klebten. „Ist nur ein paar Meilen von hier!“ Shahab sattelte sein Pferd, welches in der Regel nicht ganz so gepflegt aussah, wie das von Miguel und außerdem erheblich kleiner war. Noch ein letzter Blick zurück in die Hütte, und beide ritten los. Shahab hatte etwas Mühe, dem schnellen Ritt von Miguel zu folgen, da er wie so oft, die Hufe seit Jahren nicht gewechselt hatte. „Wir haben einen Basser!“ rief Miguel, während beide nebeneinander durch die flache Prärie galoppierten. „Er heißt Piedro, ein Italiener aus der Steppe nordöstlich von Down-Valluf“. „A-ha“ sagte Shahab und nickte, was er aber seit Beginn des Ritts ohnehin ununterbrochen tat. Nach etwas mehr als zwei Stunden hatten sie die Siedlung „Home of Dotz“ erreicht, in der sich die Hütte von Dr. Robert befand. „Dr. Robert“ war die Bezeichnung für eine regionale Country Formation, die sich in den Saloons der Umgebung ein kleines Zubrot verdiente. Shahab und Miguel betraten gespannt das Gebäude. In der Eingangshalle war es dunkel und merkwürdig still, nur die harten Absätze der schweren Cowboystiefel klopften auf die uralten Holzdielen und zerschnitten die Stille, so wie einige gleißende Lichtstrahlen sich den Weg durch das Dach in die Dunkelheit der Eingangshalle gesucht hatten. Am anderen Ende des Raums befand sich eine alte hölzerne Treppe, die nach unten führte. Schon beim Näherkommen hörte man einige Stimmen, die deutlich auf die bereits anwesenden Musiker schließen ließen. Voller Tatendrang stieg Shahab als erster die Treppe hinunter, und Miguel folgte ihm.

Der Übungsraum war so, wie es sich Shahab immer vorgestellt hatte. Klein, gemütlich und vor allem überladen mit unzähligem Musikerramsch. Wo man hinsah, entdeckte man Bilder, Poster und Plakate von mehr bis weniger bekannten Stars, Schallplattencover, Eintrittskarten und natürlich den aktuellen Saloonluderkalender, der nicht nur das Mädchen des momentanen Monats zeigte, sondern gleich alle zwölf auf einmal, fein säuberlich nebeneinander trapiert, plus Deckblatt. Shahab entdeckte sofort das riesige Poster von Jimmy dem Wahnsinnigen, eines seiner größten Idole, neben Bob dem Hanfzüchter. Ach ja, und Instrumente standen selbstverständlich auch zu Genüge in diesem Raum. Christopher saß bereits hinter seinem perlmutfarbenen Schlagzeug, und Gerhard hatte es sich vor einem uralten Klavier bequem gemacht, dessen schwarz-gelbe Tasten zwar nicht mehr vollständig waren, offensichtlich aber noch ihren Zweck erfüllten.

...Fortsetzung folgt

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